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plattenkritik

john vanderslice : emerald city
v.ö.:02.11. (affairs of the heart/indigo)

john vanderslice stammt aus san francisco, jener weltoffenen stadt an der westküste der usa, die immer schon zwischen inszenierung und realität changierte; irgendwo zwischen hitchcockschem psychodrama, hippiebewegung und den delphinen am baker beach.
dort ist vanderslice, dessen band sich aus jan bjornstad, david broecker und david douglas zusammensetzt, längst keine unbekannte größe mehr. mit emerald city veröffentlicht er nun das zweifellos beste album des jahres. es ist sein sechstes studioalbum, erneut auf dem barsuk label erschienen und wie die vorgänger im tiny telephone studio (u.a. chris walla, alex newport) in frisco produziert. ausführender produzent und langjähriger weggefährte scott scolter hatte unlängst vanderslices vorgängeralbum pixel revolt als remix version zum kostenlosen download zur verfügung gestellt: eine großartige umsetzung eines wortgewaltigen werkes in leise klänge. solter ist es auch, der zusammen mit vanderslice emerald city bestimmt, zwei handschriften, die unterschiedlicher nicht sein könnten und vor dem hintergrund einer langjährigen zusammenarbeit ihren vorläufigen höhepunkt finden.
poltisch war vanderslice schon seit seinem debut suicide and occult figures. das songwriting, zu beginn gegen die großen konzerne möglicherweise stellvertretend für die usa stehend gerichtet, wurde von album zu album feinfühliger und bildet in cellar door (2004) das abbild eines politdiskurses amerikanischer allmachtsphantasien. die kritik trägt vanderslice wütend als realistische brutalität vor: i'm a guard in guantanamo - I bring the prisoners in - the hoods come off and torture slowly begins - the screams I've overheard - it'd fuck up a weaker man - but I'm cold, I'm so untouchable. eine konstante von der er in seinem folgewerk pixel revolt nicht mehr loskommt; in einem unpersönlichen liebslied, exodus damage, ist die heile welt zweier liebender zerbrochen. nüchtern heißt es da: i'll see you next fall at another gunshow ... the second plane hit at 9:02 right to say we would stand down; um letztlich im refrain keine auflösung zu finden: so you hope that one person could solve everything - and for me, that's you - sometimes that dream is a sad delusion - but sometimes it's true.
emerald city (der titel bezieht sich auf die grüne zone in bagdad) ist nun quasi die dritte phase der posttraumatischen bearbeitung von 9/11. ein konzeptalbum wie die vorgänger, das sich ausschließlich dem diskurs des anschlags widmet, und mehr ein album zum stimmungsbild in den usa ist, als eine rede zur lage der nation. ein album zwischen wünschen, träumen, angst, unsicherheit und verzweiflung. dass sich ein jedes stimmungsbild in den melodien und arrangements wiederspieglt ist ein großer verdienst von solter und vanderslice. atmosphärisch ist der hörer vom ersten lied gefangen in einer magischen welt, in der das alltägliche in gewaltherhältnissen zum mythologischen abstrahiert und selektiert wird. das erinnert an johnny cash, in all der tragik und dynamik der musik und der ohnmacht des hörers gegenüber den texten. auch die liebe ist bei vanderslice present, liegt jedoch hinter einem schleier des white phosphored rain. die bei vanderslice so oft rhythmisch dynamischen gitarren sind zurückgenommen, elektroflächen wird mehr platz eingeräumt, was den von ihm entworfenen modernen folkbegriff weiter prägt.
what was left to remember? not sure what really happened on that day, heißt es in the parade. und diese ungewißheit, die sich im politisch- amerikanischen musikdiskurs bei radio 4 noch in einem wütenden gitarrensturm entlädt, schleicht sich bei vanderslice in die lieder, und legt sich in die songstrukturen, wie der weiße nebel, der am 11. september in den new yorker strassenschluchten hing.
vanderslice beschreibt den schwebezustand einer nation, die nicht weiß was war und nicht weiß was kommt oder die vergessen will, was nicht vergessen werden kann. es ist die frage zwischen vergangenheit und zukunft, die immer wieder ins private hinein reicht. das politische ist dabei nicht mehr als eine emotionale begleiterscheinung, eine traurige metapher der gegenwart. vanderslice schrieb die texte übrigens, während er mit der us immigrationsbehörde in einem rechtsstreit steckte: der visa antrag seiner freundin aus paris war unlängst abgelehnt worden...

(jf)