morrissey
- you are the quarry
bereits erschienen (sanctuary/rough trade)
schon
der titel des neuen morrissey albums ist wundersam doppelsinnig.
quarry: das gehetzte treibjagdopfer, der erst ganz am ende von der
kötermeute gerissene fuchs der ins gerede geratenen traditionellen
englischen fuchsjagd
und quarry: der steinbruch, das loch in der landschaft, unterirdisch
komplex verzweigt, geschunden, geborsten- und birgt doch irgendwo
zwischen seinen dunklen stollen schätze von unfaßbarem
glanz. pfeilschnell auf der flucht und gehetzt, weil heiß
begehrt, das eine, lastend und in schweren trümmern das andere:
sinnbild des herzens, unvereinbar und doch in diesem einen seltsamen
wort zusammengegossen, zum zerreißen, herzzerreißend.
und so ist denn auch das herz geheimer und wiederholt auch offensiv
benannter gegenstand der verhandlung auf diesem album, ergreifend
aber auch amüsant. in dessen herzstück "i have forgiven
jesus" wird keinesfalls lässig ein blasphemisch-anmaßender
joke getrieben, sondern, in bester englisch-barocker lyriktradition,
voller ernst poetisch übertrieben: wie soll die liebe, die
jesus durch seinen tod in unser herz pflanzt, auf daß sie
in unserem leben mit uns und durch ihn gedeihe, weitergeschenkt
werden können, wenn es keinen nächsten gibt, keinen, der
hilft, diesen schatz zu heben, wie soll in "a loveless world",
liebe erkannt und gemeinsam gelebt werden? und so bleibt der schatz
begraben in der krypta des herzens und mit funkelnder rhetorik ein
kernstück zurückreflektiert an seinen sender: die vergebung.
man könnte morrissey freilich empfehlen, sich im lieben seiner
feinde einzuüben, doch ist dies seine sache nicht; die poetische
stilisierung als opfer von presse und justiz als dessen apparatur
mag vor allem ehrerbietende verbeugung vor seinem leitbild oscar
wilde sein, monument seiner inneren pilgerschaft. "sick and
depraved, a traveller to the grave" - und legt auf dessen grab
sein herz nieder, he understands, immer noch und genau so wie im
vorigen jahrhundert in "cemetery gates". und auch an anderer
stelle offenbart morrissey diesen konflikt, gegenüber der welt
bei sich bleiben zu wollen und es zugleich nicht zu wollen. sein
oftmals herrisch anmutender und unnachgiebiger egozentrismus hat
indes risse von enormer tiefe bekommen, an denen sich diese lieder
entzünden, gesungen so mächtig und beredt, nuanciert und
packend, wie lange nicht.
in "come back to camden" findet er so sehr zu seinem ton
und thema, daß es, "so funny you'll kill yourself laughing",
zu tränen zu zwingen vermag. wenn er dort singt - und das eine
der überraschendsten und schönsten zeilen - :"your
leg came to rest against mine" und man schon voreilig an eine
liebesgeschichte denken will, so ist doch die herzensangelegenheit
auch hier eine andere. "here you'll find my heart and i"
und "sullenly on a chair on the pavement" legt er sein
eigenes linkes bein gekreuzt über das rechte, das ich sein
eigenes gegenüber, "when only i am i".
"you are the quarry" erscheint mir trotz deutlicherer
worte vor allem auch eines zu sein: geheimnisvoll und es hat im
weiteren eine geschlossenheit von großer schönheit und
ernst. vor allem ist es morrisseys stimme, die genau das leistet,
alle seine stärken und unvergleichlichen besonderheiten spielt
er aus, mit grazie, lässigkeit und großem innigen nachdruck
zugleich; die vereinzelten kompositorischen schwächen und ungereimtheiten
verlieren da an gewicht. eigentümlich, wie die mitunter befremdlichen
und etwas teigigen arrangements ihm einen sockel bereiten und einen
großen raum eröffnen, gerade indem sie ihn bedrängen.
so wie der purpurne satinbackdrop auf dem cover fehlerhafte knitterfalten
hat, sind auch die verstimmten flöten und ordinären sounds
teil einer inszenierung, die den dunklen glanz und den schmelz morrisseys
stimme ins licht zu rücken vermag und so ist er am ende doch
gehoben: der schatz - und verschenkt an alle.
(alexander rischer)
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