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plattenkritik

radio ados : late night - what has become of you, my darling
erscheint am 29.08 - releasekonzert in der astra-stube
(all rock 'n' roll speeds up records / eigenvertrieb)

vier lieder, vier himmelsrichtungen

jedes mal, wenn vor ihnen eine linie mit der vorgabe, bis hierher und nicht weiter, gezogen wird, gehen sie einen schritt in eine neue richtung.

kalter nebel liegt über dem tal. es ist morgen, das liedgut erwacht im osten. der beginn ist plötzlich. ein klangteppich aus gitarre, bass und schlagzeug eröffnet die erste reguläre single der hamburger band radio ados. als die keyboards mit ihrer atmosphärischen untermalung einstimmen, ist man bereits mitten im ersten stück "die gebeutelten sympathischen".

es ist eine einführung in den plan. logisch soll er sein. hier scheint er noch gerade, wohl formuliert. der refrain ist einprägsam, die melodien führen direkt auf das ziel hin. die hörgewohnheiten werden noch nicht auf eine probe gestellt.

anders ausgeprägt ist der text. der schreit nach veränderung. "beginnt mit der revolution!", brüllt sänger joachim büchner heraus. allerdings fehlt noch die endgültige entschlossenheit. sollen alle folgen, müssen die parolen mit mehr nachdruck hervorgestoßen werden. die bedrohung, die sie darstellen wollen, schüchtert nicht ein. zu höflich ist der appell: "bitte kämpft zurück!"

logisch folgt die resignation der abschließenden zeile: "oder bleibt mal wieder nur der alkohol?" es ist der kater nach dem sturm im whiskeyglas. sie sind halt gebeutelt, die sympathischen. zwar bildet die band eine einheit, denn die vereinigung der kräfte ist musikalisch erreicht, aber die masse folgt noch nicht.

also greifen sie zu radikaleren maßnahmen. "penisballons" ist grell wie die sonne im süden. die zaghaftigkeit des openers ist der entschlossenheit gewichen. wir haben die waffen und wissen sie einzusetzen. aus diesem lied spricht trotz.

ob alle dieser kraft folgen werden? der punk funk spaltet die gemeinde und stellt ihre ohren auf die probe. elektro-beat, dann gitarre, dann bass und drums. der treibende beat nimmt immer mehr fahrt auf, bis sich die volle gewalt entlädt. bedrohlich donnernd. dem gradlinigen stampfenden rhythmus steht die chaostheorie des textes entgegen. frei heraus wird der titel immer wieder geschrien.

bis das lied gegen die wand prallt. abrupt stoppt die erste seite der single. die sonne versinkt in den westen. doch das ist nicht das ende, denn der energieschub geht nicht verloren. der rückprall ist sogar verstärkt, denn in "aus dem kummer heraus" wird das tempo noch gesteigert. das schnelle leben des abends beginnt. "du willst starten/ist doch klar".

der erste gedanke: "shakespeare's sister" von the smiths. "so please don't stand in my way/because i'm going to meet the one i love." die selben schnellen beats, dazu die keyboard-verzierungen (bei den smiths war es klavier). aber der fade over-vergleich zeigt: radio ados sind schneller. und sie legen keine ruhepause ein bis das lied in fast identischer zeit von knapp über zwei minuten zum ende kommt.

"i thought if you had an acoustic guitar, then it meant that you were a protest singer", singt morrissey. doch akustisch ist hier bei radio ados nichts. das steigert noch die dringlichkeit. allerdings scheint das chaos der ersten seite lange in den text gefahren zu sein. alles wird wild rausgelassen. die tatkraft des viel entschlossener klingenden büchner wird zunächst von sorgen getrübt. "alle sorgen sind für dich" ist der refrain. aber dann befreit er sich vom kummer, der so stark im kontrast zur lebensfreude der musik stand. geordnet und überzeugt erklingt der ruf: "aus dem kummer heraus!"

während sich die dunkle nacht des single-titels über die landschaft legt, steht die band gefestigt im kalten norden. der intime beginn des e-pianos, das sich mit den drums vereinigt, ist der musikalische höhepunkt der single. eine beruhigende gegenbewegung zur geschwindigkeit der vorausgegangenen lieder.

"i die a little more" ist insgesamt ein umkehrbild. nicht das leben nimmt ab, sondern der tod nimmt zu. aber radio ados haben sich mit der vergänglichkeit arrangiert, die im deutlichen kontrast zur so lebhaften melodie steht. die angenommene resignation des openers spricht aus den zeilen dieses textes, doch zeigt die stimme leben, nicht den tod. selbstbewusstsein, nicht angst.

der ausklang ist der neue morgen, mit dem sich der kreis der single schließt. ende und wiederanfang beim nächsten spielen der 7". es läuft alles nach plan, die revolution wird noch kommen.
(sj)