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kiesgroup - shantychrist

(tumbleweed/broken silence)

kiesgroup - shantychristnach einer platte wie "gladbach oder hastings" müsste man es jeder band nachsehen, wenn sie sich auflöst. ein solcher kraftakt zwischen pop und avantgarde kann schließlich nur einmal gelingen, sollte man denken. aus diesem grund hatte ich mich auch gar nicht getraut, das nachfolgealbum der kiesgroup zu hören, dessen titel "das leben als umweg zwischen nichts und nichts" für meinen eindruck die philosophische essenz der band beängstigend präzise beschreibt. allerdings ist der kraftakt wohl einer der sich wiederholt, wie einst die unfassbar weiten einwürfe des früheren düsseldorfer bundesligaspielers harald katemann- nur in einer niedrigeren frequenz über einen entsprechend längeren zeitraum.
genial ist, wie kiesgroup mich mit scheinbar einfältigen tricks in den texten, seien es die reime oder melodien (beipielsweise bei "ich weiß") denken lassen: "dreist oder infantil aber groß!". das hat was rührendes, einen tiefen trotz mit großem z und das feine aber zuweilen grenzwertige bis ermüdende eingeständnis einer bodenlosen desolatheit. die harmonien sind europäisch. mal ist es mod, mal chanson, dann wieder wavige kälte oder elektronisches, beatles und hardcore (für mich nicht das highlight), aber das alles ist nicht beliebig, sondern ganz organisch teil des kiesgroup-kosmos und plans. zitatreich und wildwüchsig.
andererseits unverkennbar dieses loungige, jazzige bisweilen weltwölfische, das nie über das belastende in der musik und dem text hinwegzutäuschen vermag, aber trotzdem willkommen ist. einfach weil es charakteristisch und taumelnd virtuos ist. manchmal passagenweise weltklasse. was ist das denn für ein arrangeur?!
"feuer im hotel" von der gladbach/hastings-platte wird über kreuz zitiert bei "rotz und wasser", was eine unheimliche geheime stringenz im werk der k-gruppe erahnen lässt. zu viel mehr als ahnungen ist man doch eigentlich eh kaum mehr in der lage und kiesgroup mit ihrem aristokratischen kopf vander sind doch wie wir fast alle schon total drüber, denkt man. wie machen die das also? woher mobilisieren sie irgendwas? es gibt eben einen tiefen fundus. bernd kroschewski würde sagen: "herrlich bekloppt". man muss in der tat sagen: anarchistisch, helge-schneideresk, unterhaltsam aber auch bisweilen deprimierend.
zu hoffen bleibt, dass sich leute zeit nehmen für diese musik, diese texte und das zusätzliche hörspiel. zeit, die sich die musiker dankenswerterweise genommen haben. liebe zerstört vorhaben und alltag. und umgekehrt. leidensdruck, verzweiflung, ewige müdigkeit: die platte changiert zwischen harter realität (penny märkten und call-centern) und dem träumerischen, der utopie.
auf der linken arschbacke geht das alles nicht. man fängt immer wieder an wie ein idiot.
was für ein anachronismus ist dieses also. andere zeiten waren kaum besser oder schlechter als diese "speerspitze" aber die luft für herausforderndes wird subjektiv dünner und die loudness-wars objektiv verbissener. mit seele und manchmal erhabenheit, rückhaltloser ehrlichkeit - vermutlich begängstigt durch eine gewisse resignation- scheinen kiesgroup unberirrt von allem und doch so offensichtlich versehrt. der haltung und dem aufwand ist sehr zu applaudieren. schließlich sagt der zombiehafte shantychrist auch: "etwas woran ich noch glaub gibt es glaub ich auch. etwas, dass man sogar liebt." widerwillig - vielleicht etwas theatralisch - aber da ist doch hoffnung.
die songtitel sind fasst schon eine parodie. eigentlich wenn man ehrlich ist: sieht man sie auf der rückseite der cd, weiß auf dunkelgrün, ist schon klar, dass es eine formidable platte ist und zwar nicht nur "interessantistisch" (k. schreuf, aber nicht speziell über kiesgroup), sondern auch "etwas geschmäcklerisch aber gut" (peter hain über meinen vorschlag, john cale aufzulegen). wollen wir hoffen, dass sich der abseitige vergleich mit dem katemann einwurf als adäquat erweist und die platte in der öffentlichkeit ähnlich verheerend wirkt, wie die bälle, die in den strafraum segelten- es war die einzige waffe der fortuna in dieser saison, wenn ich mich recht erinnere. es ist nur eine ahnung.

(joachim franz büchner)

kiesgroup @ myspace