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die nerven - fun

(thischarmingman/cargo)

die nerven - fun"fun" – was für ein titel. die nerven brauchen drei buchstaben, um ihren emotionalen stellungskrieg gegen das da draußen zu titulieren. dass es sich dabei eher um eine adornitische anleihe, zumindest aber eine wütende, mittelfingeresk-ironische gebrochene wendung des wortgehalts geht als tatsächlich um spaß, dürfte dabei sehr schnell deutlich werden. fun das ist so lustig, wie ich glaube, dass es sich mit einem blick hinter die kulissen des schlagerstadl verhält: hat man erst einmal verstanden, wie unüberbrückbar sich der graben zwischen fassade und realität der dinge verhält, gefriert einem das lachen auf dem gesicht.
die nerven sind jedenfalls angetreten, fassaden einzureißen und auf "fun" hinterlässt der fassaden-abrissbagger einen schuttberg von zehn pulsierenden, rohen und eindringlichen tracks zurück, denen im vergleich zum bereits grandiosen vorgänger-album "fluidum" - obwohl weiterhin unverkennbar die nerven - eine deutliche entwicklung anzuhören ist. die songs klingen in einem positiven sinne erwachsener und in sachen sounds und songwriting noch einmal ausgereifter, ohne dabei jedoch auch nur eine spur von der rohen, ungestümen dringlichkeit und intuitiven künstlerischen frische einzubüßen, die das label-debüt-album kennzeichnete. wieder geht es dabei um die ebene der persönlichen betroffenheit und dem zurechtkommen in dem wahnsinn da draußen. dabei entsteht ein seltsamer effekt, denn während diese platte einerseits unfassbar nach vorne geht, ist sie andererseits unglaublich in sich gekehrt, intensiv und immersiv und wahrscheinlich genau deshalb so aufrührend und bewegend: diese platte tobt in dir.
"alles, wie gehabt - nichts hat sich verändert. ich liege gut, ich liege weich", heißt es in "eine minute schweben" und genau hier liegt der kern, der durchgängig zu spürenden attitüde von die nerven begraben: die nerven wollen sich nicht arrangieren, keine musikalischen gefälligkeiten anbieten. niemals. eintausend mal lieber freak, als die scheiße da draußen mitmachen und lieber wunden schürfen als gar kein gefühl in der einen umgebenden taubheit. fun, das meint eher das stahlbad.
ja sicherlich, ihre attitüde und ihr ansatz knüpfen bestimmt an das popmusikhistorische erbe von (post)punk an, das hierzulande bands wie abwärts oder fehlfarben ebenso ausstaffierten wie tocotronic, kolossale jugend oder mutter. jedoch hat sich dies zum einen seit der frühen ndw anfang der 1980er oder der hamburger schule in den 90er jahren selten so verdammt vehement und herausfordernd angefühlt, zum anderen stehen die nerven mit ihrem sound für einen eigenständigen, unverkennbaren künstlerischen ausdruck, weshalb sie diesen strang von popmusikhistorie in meinen augen eher selber weiterschreiben, als dass sie ihn kopieren. "fun" fühlt sich an, wie in sound übersetztes subkulturelles entfremdungserleben der 2010er jahre und die nerven brauchen keinen selfie, um dir das klar zu machen, sondern einzig ihre instrumente. was sie mit den genannten referenzen vor allen dingen verbindet und eine deutliche ideele verbindungslinie zu den genannten bands herstellt, ist wohl der undogmatische geist des punk, der gedanke der künstlerischen freiheit und das über die musik hinausweisende postulat von diy, des es-einfach-machens, bei dessen anwendung die nerven jedoch nicht davor zurückschrecken, es auf die eigenen szenedogmatismen zu übertragen.
die nerven sind der wohl seit vielen jahren eindringlichste versuch, dem allgemeinen unbehagen in künstlerisch-subkultureller manier ein aktuelles anlitz zu verleihen und dabei haben sie schon wieder eines der hierzulande wohl besten alben der vergangenen jahre geschrieben. gäbe es hier eine zehn-punkte-skala, würde ich zwölf vergeben. und bestimmt nicht aus fun.
(frieder dähnhardt)

die nerven @ facebook