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holger czukay - der osten ist rot

(groenland/rough trade)

holger czukay - der osten ist rotherbert grönemeyers schlechtes gewissen angesichts seines lebenswerks treibt ständig neue blüten und bringt erstaunliche früchte hervor. nun beglückt uns sein label groenland mit einer weiteren gemme aus dem schier unerschöpflichen fundus des kraut-universums. "der osten ist rot" ist das vierte und eines der zwei besten soloalben von holger czukay (ja, das war der bassist von can!) aus dem jahr 1984 und wird nun zusammen mit seinem 87er werk "rome remains rome" auf einer 10inch vinyl und als download wiederveröffentlicht, allerdings sind einige tracks 2012 vom meister höchstselbst geremixt.
nun ist es schwer, über musik zu schreiben, die sich für mich dadurch auszeichnet, dass ich sie nur bedingt verstehen kann und soll. meine mitbewohnerin fritzi von der band schnipo schranke kommt in den raum und sagt beim ersten song: "das ist aber chillige musik". kann man teilweise sagen, warum nicht? was czukays musik hier ausmacht, ist ein einmaliger mix verschiedener progressiver und volkstümlicher spielarten, der mal faszinierend seltsam und düster, überraschend harmonisch oder sogar komödiantisch anmutet. analog-synthesizer werden mit akkordeon kombiniert, tribale rhythmen mit abgehangenen kiffer/stoner beats, wobei es faszinierend bleibt, wie sehr man jaki liebezeits schlagzeugspiel immer heraushören kann. das gilt übrigens auch - aber auf ganz andere weise - für seine studioarbeiten für eurythmics oder das hiermit empfohlene stück "tritratrullala" von joachim witt. stellenweise ist das ergebnis atemberaubend, umwerfend, ergreifend oder hypnotisierend, anderes eher durchschnittlich auf stets hohem musikalischen niveau. czukay und produzentenlegende conny plank verweben ambientsounds mit präzision und disziplin. mal wirbeln sie auf, mal schaffen sie angenehme ruhe und entspannung. sie lassen in sprachsamples thomas mann in form eines auszugs aus seinen ansprachen "deutsche hörer", in denen er eindringlich versuchte, über bbc an das deutsche volk heranzutreten und es zum umdenken zu bewegen, zu wort kommen. dazu kommen "gags" wie die telefondurchsage "kein anschluss unter dieser nummer", in entrückendem kontext. ein highlight ist das druckvolle stück "massenmedium", welches mit kreativer, tighter rhythmik inspiriert und zeigt, dass die frühe neue deutsche welle bzw. palais schaumburg durchaus einen eindruck bei der krautrock-generation hinterlassen hat.
alles eine muntere dem pioniergeist verpflichtete cut-up odyssee also, die man wunderbar hören kann und sollte.

(joachim franz büchner)

holger czukay @ world wide web