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der bürgermeister der nacht - in champagnerlaune

(hand11)

der bürgermeister der nacht - in champagnerlaunewer verdammt noch einmal ist der bürgermeister der nacht? was steckt hinter diesem oberhaupt der dunklen tageszeit? wer hat das sagen, wenn die sonne feierabend hat und flackerndes laternenlicht die gassen der innenstadt beleuchtet? für mich ohne zweifel fynn steiner und joachim franz büchner, die dieser tage "in champagnerlaune" ihr erstes album präsentieren und damit die regeln der nacht klarstellen. zwölf gespenstische songs behandeln hier alle facetten vom herumtreiben in verrauchten bars, vom philosophieren im suff, akt der verkleidung, der verblendung und dem zwiespalt, sich nicht zwischen kunst und party entscheiden zu können. da wird ein bild von hubert selby gezeichnet, der am hauptbahnhof seine bücher schreibt, der neue 10-euro-schein mit einer fragwürdigen hymne gefeiert, eine welt auf bierschaum erbaut, über haschisch nachgedacht, das antlitz hinter einer schwarzen dreiecksmaske versteckt, der wilde von nebenan besungen und in den dunklen straßen hamburgs die liebe mit l.a. und new york verglichen. missverständnisse sind bei den texten von fynn steiner vorprogrammiert, denn der selbst betitelte superstar wird nicht müde, alles für die kunst zu geben. tatsächlich sind die düsteren, teils bitter ironischen und aufreibenden geschichten steiners nicht zum verstehen geschrieben. lediglich kann man erahnen, was der künstler uns zu sagen hat und im idealfall fühlen oder einfach wirken lassen. dabei fehlt es nicht an selbstironie: "jetzt werde ich langsam intellektuell – setz du dich nackt auf einen teller voller milch." überhaupt ist steiner nicht diese art künstler, der man permanent eine reinhauen möchte, weil er zehn zentimeter über dem boden der tatsachen zu schweben scheint und für die gesellschaft nur noch verachtung und klugscheißerei übrig hat. eher scheint er nicht zuletzt durch seinen tresenjob in der hamburger absackkneipe "mutter" ein guter beobachter mit distanzvermögen und dem herz am richtigen fleck. hier hat er die jahre nutzen können, menschen in ihren düstersten und sehnsüchtigsten momenten zu beobachten, ihre sorgen, zweifel und wünsche zu analysieren und in seine texte einfließen zu lassen. einen ähnlichen zugang zu diesen gedanken und gefühlen scheint songwriter und musikalisches haupt der band joachim franz büchner zu haben. dieser findet stets den passenden klang zu steiners hirngespinste und verpackt das ganze in eine gespenstische bis rockige soundkulisse. auch büchner scheint kein mann der einfachheit. seine songs sind zwar allesamt perfekte indiehymnen, heben sich aber vom simplen herunterschrabbeln von akkorden weit ab. gespickt mit etlichen feinheiten und nuancen sorgt das wechselspiel zwischen klavier und verzerrter gitarre auf albumlänge für viele musikalische überraschungen. der im groben an bands der frühen hamburger schule angelehnte indiesound wagt ausflüge in genres wie rythm 'n' blues ("das auge der nacht"), krautrock ("der wilde, das licht und was aus uns wurde") oder auch disco ("paybackzeit in der opiumhöhle"). von der ballade ("la / new york") bis hin zum treibenden rocksong ("über haschisch") bleiben "der bürgermeister der nacht" trotz alledem in ihren eigenen vier wänden. das bedeutet kunstdurchzogener indierock der düsteren und atmosphärischen sorte. hier sind zwei männer tatsächlich "in champagnerlaune". im gesamten sorgt das für ein album, das uns in einer nicht enden wollenden nacht durch die eckkneipen hamburgs treibt. nur die nachwirkung dieser nacht dürfte den anschließenden kater um jahre überdauern.

(mike witschi)

der bürgermeister der nacht @ world wide web