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interview - hidden cameras

da sitzt man nun tagelang am schreibtisch, grübelt über clevere fragen nach, denkt, man hat die geeignete gefunden und dann das....joel gibb, frontman und geist der hidden cameras hat nicht das geringste von john miles 'music was my first time' gehört.
dabei wird sein neuestes album 'misissauga goddam' als schwules update dieses songs bewertet. macht auch nichts, denkt joel und sagt einfach, dass es ihm gefällt, während er nebenbei eine äußerst lecker aussehende vegetarische pizza verspeist.
aber ein bißchen enttäuscht bin ich zunächst schon, hatte ich doch make up und frauenkleider erwartet, von den versprochenen gogo-tänzern ganz zu schweigen. statt dessen sitzt mir ein sympathisch aussehender kanadier gegenüber, ein abbild meines englischlehrers aus maine, in den ich mich mal während einer ferienfreizeit verliebt hatte. also durchatmen und an schlauere fragen denken.

was hat es mit dem begriff 'gay church folk' auf sich?

j: das war eine erfindung von joel. hat er mal vor einem konzert auf das plakat an der tür geschrieben, um die leute anzulocken. hat funktioniert. die leute brauchen immer schubladen, um musik bzw. bands zuordnen zu können. in so eine schublade wollten wir eben nicht, da haben wir unsere eigene aufgemacht.

und das paßt auch, finde ich, denn wer macht schon musik wie die hidden cameras?
manche erinnert der style trotzdem an die beach boys mit zusätzlichen pompösen streichern, kirchenorgel und natürlich ganz viel 'happiness'. genau dieses positive glücksgefühl möchten die hidden cameras vermitteln. es gibt schon genug probleme, depressionen und traurigkeit in der welt, da fehlt ein bißchen musik, die einfach nur fröhlich ist. das ist komisch, da joel zu seinen vorbildern the smiths und the cure zählt. wer kann sich schon einen fröhlich über die bühne hüpfenden robert smith vorstellen?
bei den positiven melodien erwartet man ebenso fröhliche texte. zur einen hälfte sind sie das, aber zur anderen sind sie ein wenig anrüchig. nicht das saubermann-image, sondern schwul mit allem was dazugehört: schmutzige unterwäsche, 'tote katze im mund' und flecken auf dem bettlaken.

j:'fans ködern' oder subtil schocken. viele wollen nur schöne musik hören, die interessiert die texte nicht. andere wollen wiederum den texten lauschen, die wissen dann gleich wovon wir erzählen.
eine dritte gruppe lässt sich zunächst von der musik einfangen und wenn sie genauer zuhört und realisiert, dass wir vom leben ohne zuckerguß erzählen, ist sie vielleicht ein wenig irritiert. aber das macht spaß und ist nicht so platt wie marilyn manson. der covert nur und will so offensichtlich schockieren. das ist schon ok so, besser als der einheitsbrei, aber mir ist das zu langweilig.

das klingt nach vielen unterschiedlichen menschen, die eure konzerte besuchen.

j: das stimmt, bei uns gibt's indiekids, junge und alte, die manchmal ihre mütter mitbringen. müttern gefällt es immer. in kanada bei einem konzert in einer kirche waren sogar ein paar kleine kinder. langweilig wird das nicht. man weiß nie, wer so auftauchen wird, und jede stadt ist anders.

(berlin war nicht so toll wie hamburg, sagt er später.) atmosphäre: die menschen sind wichtig, aber auch die lokalität ist bedeutend. die weltbühne gefällt joel sehr gut, obwohl mir noch nicht klar ist, wie die vielen bandmitglieder und das equipment auf die bühne passen sollen.

kirchen und schwule texte. gab's da noch nie ärger mit den kirchenoberhäuptern?

j: sonderbarerweise nicht. aber vielleicht ist die kirche in kanada nicht so konservativ wie in amerika oder deutschland eingestellt. bisher wurden wir überall mit offenen armen aufgenommen.

ich stelle mir einen bayrischen dorfpfarrer vor, hinterm altar mit dem fuß wippend hidden camera-texte mitsummen und verwerfe diesen gedanken gleich wieder.
zwei dinge will ich noch vom video zu 'i believe in the good of life' wissen. zum einen sitzt ein alter mann mit einer sonnenbrille im publikum des gerichtssaals und zum anderen hängt ein banner mit emblemen an der wand hinter dem richter: eine alte kamera, ein kassettenrecorder, eine maske und ein goldenes zeichen. hat das alles eine besondere bedeutung?

j: nicht wirklich, der mann mit der brille ist ein mädchen aus der band, das sich gern verkleidet und das banner wäre nur design mit doppelnutzung. ich bin eben faul und benutze dinge gern doppelt. ihr werdet das banner gleich beim konzert an der bühne hängen sehen. außerdem ist es auf dem cover der ep und den konzertplakaten. also ein design für viele verwendungen.

bist du wirklich faul? ich nehme dir das ehrlich gesagt nicht ganz ab, da du vorher gesagt hast, dass du gern zwei dinge auf mal tust, z.b. pizza essen und interview führen. das klingt eher nach einem workaholic.

j: hast recht, bin ich auch nicht, aber ich wäre es so gerne.

bevor ich noch weitere fragen stellen kann, betreten bereits die ersten besucher an uns vorbei die rolltreppe zur weltbühne. joel will wissen, ob wir zum konzert bleiben. klar, und nach zwei eher langweiligen support bands, (obwohl die keyboarderin der ersten wirklich eine verdammt gute show abgeliefert hat, zumindest brachte sie den lokalfotografen völlig aus der fassung) betraten 7 menschen mit teils merkwürdigen instrumenten die bühne. die menge tanzte, die hidden cameras hatten viel spaß, zumindest habe ich noch nie eine derart gutgelaunte band spielen sehen. wer es dieses mal unglücklicherweise verpasst haben sollte, geht nächstes mal hin und nehmt unbedingt eure mama mit!

(interview: sabine zaeske und shane mallett / 30.11.04 / weltbühne hamburg)

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