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interview - magnetic fields

magnetic fields & the real tuesday weld : interview + konzertrückblick (mi. 06.10.04 / fabrik hh)

stephin merritt, der mann, der uns versteht, wenn wir verlassen werden oder jemanden verlassen, will nicht über die liebe sprechen. weder im konkreten, noch im allgemeinen.
er trinkt auch keinen kaffee, sondern grünen tee, raucht nicht zwei schachteln, sondern drei zigaretten am tag, und er trägt kein schwarz, sondern uni kamelfarben. soweit die kluft zwischen vorstellung und realität.

nur eine vermutung meinerseits bestätigt sich im laufe des interviews: ja, er schreibt seine songs an öffentlichen plätzen, getaucht in ruhige stimmung. da sitzt er also vorzugsweise in einem new yorker café oder einer schwulenbar und gibt seiner arbeit die zeit, die sie braucht. was sich dann in ihm abspielt, will ich erkunden, aber meine fragen scheinen ihm anmaßend bis befremdlich. "das hat mich so noch niemand gefragt, da bräuchte ich mehr zeit, um zu antworten…" um eine spontane reaktion verlegen, flüchtet sich merritt immer wieder in vertraute antworten auf ungestellte fragen. dass er sich mit abba verbunden fühlt interessiert mich nicht, das konnte man anderswo schon lesen. die übergewichtige betonung des "bitter" in "bitter-süß" ist seinen liebesliedern seit 15 jahren immanent, alles andere wäre langweilig und unaufrichtig, betont er. songwritern, die nur fröhliche liebeslieder schreiben, unterstellt merritt eine gleichgültigkeit und beliebigkeit, in der lyrics keinen sinn ergeben. na gut, aber was versteht er dann unter liebe, wie sieht sie für ihn aus?
das wesen der liebe ist ein leidvolles und möchte mit dem gebührenden ernst behandelt werden. die liebe ernst nehmen heisst, ihre konflikte ins zentrum der aufmerksamkeit zu stellen und durch eine tonierung jenseits von moll zur versöhnung zu führen. das drama schlummert in der dancing-queen.
man darf nicht denken, merritt wäre ein mensch ohne humor, seine texte beweisen das gegenteil, aber bei all seiner pessimistischen skepsis ist witz dann das ergebnis einer resignation?
"der großteil des humors in meinen lyrics ist einfach mein wille, albern zu sein und unmögliche wortpaare zu reimen. wie bob dylan das auch getan hat."
wo wir schon einmal bei den verwandtschaften und einflüssen wären, frage ich merritt auch gleich nach seiner verbindung zur europäischen kultur, klangähnlichkeiten zu divine comedy im hinterkopf. die antwort ist etwas zynisch: "natürlich steh ich der europäischen kultur näher als etwa der afrikanischen oder asiatischen. ich schreibe mit den selben 12 noten wie bach... ahh..."
missverständnis ahoi, ich meinte die europäische kultur in abgrenzung zur amerikanischen... "die meisten amerikaner würden mich nahe zum schlager einordnen, ich meine immerhin näher als hip hop". da sieht man doch, wie wenig merritt von der europäischen kultur zu verstehen scheint, zeichnet sich der europäische schlager doch tendenziell eher durch eine heile welt, als durch wehmut, sehnsucht, verlassenheit und unerfüllte liebe aus. und auch die instrumentierung des späteren live-auftrittes mit gitarre, banjo, ukulele, piano und cello entspricht nicht dem traditionellem schlager. hier spricht wohl wieder die liebe zu abba, die ja immerhin auch den spagat zwischen schlager und pop vollzogen.
zu guter letzt hol ich die einfachen fragen aus dem sack und möchte wissen, welche projekte neben den magnetic fields denn anständen? beeindruckende beispiele für merritts vielseitiges engagement sind das 95er 6ths' album "wasps nests" oder der soundtrack zum film "pieces of april". "ich werde hollywood-musicals machen." das erste ist bereits in arbeit und wird "the song from venus" heissen.

ja, die exzentrik liegt bei stephin merritt nicht offensichtlich, anders, als bei der vorband an diesem abend: the real tuesday weld.
weil er für so viel freude sorgte, will ich den vergleich nochmal anbringen: "pulp beim frühschoppen in budapest". so klingen die anzugträger aus london und so ähnlich bewegt sich sänger stephen coates auch in zuckenden ansätzen. hervorragend beeinflußt von jazz-kultfigur al bowlly eifert the r.t.w. mit sophisticated big-band sound den großen männern großer klänge burt bacharach, ennio morricone und serge gainsbourg nach, und legen damit offen, was ich stephin merritt hatte unterstellen wollen: europäisch tradiertes dandytum. nach drei ep-veröffentlichungen (1999 the meteorology of love, 2000 valentine, 2001 l'amour et la morte) kommt nun das inzwischen schon 2jährige "i, lucifer" bei pias heraus. und wir sehen, auch hier ist die liebe von entscheidender rolle, wenn auch mit einem teufelchen auf der schulter und einem schalk im nacken.

der folgende, langersehnte auftritt der magnetic fields trifft das sitzende publikum mit leisen tönen. unscheinbar, wie seine person, platziert sich merritt am rand der bühne und überlässt das reden seiner kollegin (und bandmanagerin) claudia gonson. die ergänzt beizeiten unerwartet treffend den baritonalen gesang in einer feinen auswahl alter und neuer weisen. wie passend gerade neue stücke in ein kammerorchestrales gewand gekleidet werden, merkt nur, wer den synthi-pop stil der band kennt. (be)rührend, wenn auch wenig charismatisch, ist die wirkung des auftrittes, und so lassen sich die einen in tuschelnde gespräche ablenken und die anderen ermahnen erstere, sie mögen doch bitte leise sein.
auf dem heimweg greif ich mir in der u-bahn ein verlassenes exemplar der mopo und muss lesen, dass herr merritt "zwei dinge gar nicht mag: dumme fragen und konzertreisen". ach, vielleicht hielt er mich ja für einen dieser "inkompetenten teenager", die ihm gelegentlich bei interviews schmerzen zufügen. es tut mir leid stephin, aber ein großteil meiner fragen stammte aus dem fragekatalog eines gewissen max frisch.
(wibke)

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