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interview - kante

"zwischen den orten" erscheint mir als eher atonales, uneingängiges album. es schien der versuch zu sein, etwas neues schaffen zu wollen. war dem so?

peter thiessen: nein. wir waren eigentlich nie eine band die sich gesagt hat, wir müssen etwas vollkommen neues erfinden sondern wir haben immer so gearbeitet, dass wir viele verschiedene sachen gehört haben und versucht haben, das für uns zu verarbeiten. eigentlich war es uns immer wichtig eher das, was wir machen, in bestimmte kontexte zu stellen. also nicht zu sagen, wir haben das rad neu erfunden, sondern das was wir machen ist teil einer weltweiten kultur. so greift man verschiedene einflüsse auf und wir bauen uns unser eigenes teil daraus. aber uns war es immer wichtig zu sehen, dass dies von etwas anderem ausgeht, dass es nicht etwas ist, was aus einem selber rausgeflossen kommt, sondern eben gerade passiert, weil man sich mit anderen sachen auseinandersetzt.

seht ihr "zweilicht" als fortsetzung von "zwischen den orten", da es auch ein album über bewegung ist und bewegung in den rhythmen und der musik zum ausdruck kommt, mit dem höhepunkt "life on electric avenue", ein lied in dem sich ein mensch ständig bewegt, den keiner fassen kann.

pt:
ja, wobei ich dies eher auf den text beziehen würde. wir haben es nie so gesehen, dass die musik dazu da ist, die texte oder ein bestimmtes thmea zu illustrieren. ich glaube, dass man nur schwer sagen kann, dass der rhythmus oder eine gewisse melodiefolge etwas bestimmtes bedeuten. aber ich finde, dass es eher um tag und nacht und licht geht, wie es der plattentitel [zweilicht] ja sagt. auch um bewegung, klar, aber eher um etwas geisterhaftes. ein gespenst ist auch ähnlich wie ein zombi, eine person, die da und nicht da ist. und auch die person in "life on electric avenue" ist eine art gespenst.

bei "zweilicht" gewinnt besonders das songwirting sehr stark an gewicht. wodurch war das motiviert?

pt:
es war nichts, was wir uns vorgenommen hatten, sondern etwas, dass sich entwickelte, weil wir mehr solche musik gehört haben. ich habe zum beispiel angefangen, meine obsession für bob dylan zu entwickeln. das waren einfach neue einflüsse, die es auf der ersten platte noch nicht so gab.

eure musik ist auf allen drei alben sehr atmosphärisch, besonders durch die klangwelten, die aufgebaut werden. ich habe es oft mit bewegung verbunden aber oft drücken sie ja auch, wie schon erwähnt, etwas geisterhaftes aus.

pt:
da hast du auch recht. aber es ist nicht so, dass wir uns überlegen eine musik zu machen, die bewegung ausdrückt. wir gehen von dem musikalischen material aus das wir spielen und das uns einfallt, und verbinden erst anschließend, nach der fertigstellung, gewisse dinge wie bewegung oder stillstand damit. wir planen nicht vorher diese zustände hervorzurufen. wenn man anschließend aber feststellt, dass eine gewisse assoziation hervorgerufen wird, focussiert man dies noch etwas mehr, arbeitet es noch weiter heraus.

text kann generell solche atmosphären kaputt machen. hattet ihr davor angst auf "zweilicht" oder aber auch auf "zombi", wo das songwirting auch wesentlich stärker hervortritt?

felix müller:
es sind ja schon sachen die sich ergänzen und nicht gegeneinander gehen. es kann ja sowohl so sein, dass text, auch wenn er eine andere atmosphäre hat als die musik, dieser musik eine neue komponente geben kann, als auch andersrum, so dass die musik auch den text unterstützen oder erweitern kann. es ist keine totale trennung zwischen dem text und der musik. der text hat auch musikalische funktion.

ich habe das gefühl, dass der betrachterstandpunkt sich auf "zombi" geändert hat. bei "zweilicht" agiert der betrachter eher beschreibend und auf "zombi" werden sehr stark innenwelten und gefühle beschrieben. ihr bindet euch selbst ins geschehen mit ein, "wir sehen die welt mit anderen augen" oder "wir sind die leute in den straßen". ihr scheint die hauptfiguren der texte zu sein.

pt: das "wir" kann als die mitglieder der band gelesen werden, aber man kann es natürlich auch als zwei leute verstehen, ein ich und ein du, oder als ein ich und zwei du. man kann schon denken, dass ein liebespaar oder libestrio [lacht kurz] gemeint ist. aber das "wir" kann auch als wir - menschliche lebewesen - gemeint sein.

das wollte ich auch gar nicht festlegen. mir ging es eher um die frage des betrachterstandpunktes.

pt: ja, das finde ich auch wichtig. nur finde ich es überhaupt nicht leicht ein "wir" zu formulieren. ich finde es nicht nur nicht leicht, es kann auch schnell problematisch sein. gerade deswegen war es mir hier wichtig so zu schreiben, dass ziemlich viele verschiedene lesarten, davon was jetzt dieses "wir" ist, möglich sind, weil ich daran interessiert bin ein wir zu haben, was nicht eine bestimmt identität derjenigen die da wir sagen, festlegt. so das alle das gleiche wären oder das gleiche fühlen oder denken würden, das finde ich wichtig. eine interessante beobachtung finde ich, weil mir das selber noch gar nicht so aufgefallen ist, dass der standpunkt eher einer ist, von dem man sich vom mittendrin irgendetwas anguckt. es gibt auch eine zeile, wo ich singe: "alle meine horizonte sind zerbrochen". was heißen kann, dass dieses ich keinen standpunkt hat, von dem aus es zum horizont blicken kann und das die welt die es umgibt als eine zu hohe ebene oder oberfläche gesehen werden kann [deutet mit seinen händen den beginn einer ebne über seinen augen an] und dass dessen horizont eben zerbrochen ist. es gibt offensichtlich keine distanz mehr zwischen den dingen die das ich beobachet. trotzdem würde ich aber deswegen nicht gleich sagen, dass es um innenwelten geht. das finde ich überhaupt nicht. gerade das distanzverlieren zu den dingen bedeutet ja, dass die person, die die welt beobachtet ein problem damit hat, zwischen sich und der welt zu unterscheiden. sie kann nicht richtig zwischen innen und außen unterscheiden. das ist aber nichts persönliches oder kein problem der innenwelt sondern vielmehr gerät die unterscheidung zwischen innen und außen in wackeln. dies kann man in vielen bereichen sehen und das ist für mich auch etwas sehr politisches. das, was man früher als kriege bezeichnet hätte, wird nun eher als polizeiaktionen deklariert. und das gleichzeitig auch in deutschland, wo seid einiger zeit erwogen wird, das militär im inneren einzusetzen, also quasi eine kriegsaktion gegen die eigenen bürger zu starten, das zeigt auf, dass die traditionelle unterscheidung zwischen innen- und außenpolitik durcheinander gerät. das hat glaube ich damit zutun, dass nationalstaatlichkeit als politisches konzept nicht mehr richtig funktioniert. dies wird in den letzten jahren ganz verstärkt deutlich am irakkrieg und afghaistankrieg. es gibt unglaublich große und vakuumartige räume in der weltweiten politik, wo auch so ein begriff wie internationalität als politik zwischen den nationen nicht mehr funktioniert, also dass man dies so gar nicht mehr denken kann. dadurch steht auch die rolle der uno in frage. man kann sich dies auch nicht zurückwünschen. es zeigt sich halt nur, dass die realität schon woanders ist und dass es dafür noch keine lösung gibt. und ich glaube diese lösung sollte nicht von staatlicher oder 'herrschender' seite kommen. dafür sollten möglichst andere impulse genutzt werden. all dies hat für mich damit zu tun, dass diese lange als sicher geltenden aufteilungen zwischen beispielsweise internationaler politik und innenpolitik nicht mehr funktionieren. auch wenn man sich die flüchtlingsproblematik und einwanderungsgesetze und antiterrorgesetze anschaut sieht man, dass troditionelle aufteilungen verschwimmen, was auf der einen seite freiräume von emanizipatorische möglichkeiten schafft, aber auf der anderen seite vor allen dingen immer mehr leute tatsächlich zu zombis macht. immer mehr leute werden in situationen verstrickt, wo leute eigentlich keine richtigen rechte mehr haben oder wo deren rechtlicher status total umgekehrt ist und wo leute in total präkeren arbeitsumständen leben müssen. deswegen ist es für mich nicht nur etwas, was um ein inneres, individuelles erleben geht, sondern es geht gerade darum zu sagen, dass das individuelle erleben alle betrifft, in einem ziemlich ähnlichem maß.

wird diese politische komponente des zeitgeschehens schon im cover angesprochen? das bild von ruth may wirkt ja ein wenig wie die neue deutsche sachlichkeit und steht den eher subjektiven musikalischen empfindungswelten gegenüber. gewalt wird im cover in form eines zerstörten hauses dargestellt.

pt: ich finde das bild nicht besonders sachlich und ich finde auch die musik die wir machen nicht sachlich. ich empfinde es insofern als unsachlich, als dass die distanz, die man zu einem gegenstand hat, quasi distanzlos ist. deswegen finde ich es eher nicht sachlich, wobei ich es auch nicht komplett emotional finde.

auf diese distanz wollte ich hinaus, die zwischen cover und musik besteht. steht dahinter ein konzept?

pt: es war kein gedanke den wir dabei hatten.
fm: aber es ist auch nicht nur die idee des covers etwas gewalttätiges zu zeigen, sondern es ist etwas, wo man denkt: was ist das denn? etwas flashiges, wo farben aufgehen. es geht nicht nur um das zerstörte, das ist nicht die ganze aussage des covers.

das album wirkt sehr negativ. abgesehen von den anfangs- und endstücken werden sehr negative stimmungen hervorgerufen und düstere texte gesungen.

pt: ich glaube ich weiß meistens nicht genau, was man meint, wenn man zwischen negativem und positivem unterscheidet. ich glaube man weiß erst dann was es heißt, wenn man dafür einen rahmen hat, also wenn man anhand eines systems entscheiden kann, was innerhalb des systems als positiv und was als negativ zu werten ist. nur wenn das system in frage steht, dann ist es schwer mit solchen begriffen zu operieren.

an einer stelle in "ich kann die hand vor meinen augen nicht mehr sehn" heißt es, "ich kann keinen schritt mehr weitergehen, mir scheinen alle möglichkeiten tote alternativen, ich sehe nichts nur eine perspektive". düsterer geht es gar nicht mehr, wenn man in die zukunft gucken will.

pt: aber es wird später im text gesagt, "ich will die karten neu mischen, alle spuren verwischen, ich kanns nicht mehr ertragen, ich will die nacht an allen tagen".

aber "ich will die nacht an allen tagen" ist ja auch eine sehr düstere perspektive.

pt: ja, aber ich hoffe, dass wenn man der platte folgt, dass man verbindungen ziehen kann. als was taucht dunkel oder nacht auf? "im innern der stadt" wird ja zum beispiel das dunkel aus der stadt vertrieben und mit dem dunkel das leben. deswegen ist das dunkel mit dem lebendigen verbunden. wenn man dies nun vor "ich will die nacht an allen tagen" gehört hat, dann kann man denken, dass jemand da das leben will. bei "im innern der stadt" ist die rede davon, dass so etwas wie öffentlicher raum verschwindet und das überwachungsstrategien und kontrollstrategien die ganze stadt durchziehen. "ich will die nacht an allen tagen" könnte man unter diesem aspekt so interpretieren, dass man sich einen zustand wünscht, der nicht überwachung beinhaltet. einen zustand jenseits der sichtbarkeit, die vielleicht immer impliziert, dass es eine form von überwachung gibt. das kann man auch anders denken. nacht kann auch als ein zustand der schwebe gesehen werden. in der nacht sieht man die sonne nicht mehr ziehen, die schatten verändern sich nicht mehr und so ist nacht auch ein zustand der unterbrechung des normalen zeitverlaufs. wenn man nachts am schreibtisch sitzt, nicht schlafen kann, merkt man viel weniger, wie die zeit vergeht, als am tag. das geht mir jedenfalls so.
es gibt ein russisches theaterstück, "sieg über die sonne", wo malewitsch das bühnenbild zu gemacht hat, wo er das schwarze quadrat erfunden hat. da geht es darum, dass die kommunistischen arbeiter durch ihre arbeit dazu in der lage sind, die natur zu überwinden. sie fangen die sonne ein und sperren sie in ein betonhaus. das ist das symbol der überwindung der natur. durch die dunkelheit muss elektrisches licht überall installiert werden. die bedeutung der nacht als etwas negatives dreht sich hier um und die nacht kann als ein eher verheißungsvoller zustand interpretiert werden.
ich glaube, dass dieses bedürfnis nach licht und 'ich muss alles übersehen können', etwas damit zu tun hat, mit sich selbst eins zu werden. das ist immer ein resultat von gewaltverhältnissen. ich glaube überhaupt nicht daran, dass man wissen muss, wer man ist. ich finde es geht eher um das gegenteil. auf einer solchen grenze spielt sich für mich so ein text ab. deswegen ist es für mich nicht etwas pärsee negatives, sondern es geht eher darum, diese unterscheidung aufzubrechen oder auf den bezugsrahmen, in dem man so etwas sagen kann, aufmerksam zu machen und den aufzubrechen.

(interview: jf / 07.07.04 / amphore hamburg)

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