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interview - stars

die stars kommen zwar aus montreal, sind aber bei weitem nicht nur das produkt dieser stadt. sänger torquil campbell wurde in england geboren und wuchs in toronto auf. als er 20 war, zog es ihn nach new york, um dort zu schauspielern. »ich war dort sieben jahre«, erzählt er. »spielte shakespeare, shopping and fucking und so weiter.« gleichzeitig entstand mit chris und james die keimzelle von den stars in einem künstler-loft in williamsburg. aber als sie ernsthaft anfingen, musik zu schreiben, gingen sie zurück nach kanada. »denn es gab keine guten bands aus new york«, meint campbell. »weil man seine gesamte zeit mit einem job in einem restaurant verbringen muss, um geld zu verdienen. die einzigen leute, die in guten bands sind, sind reiche typen wie die strokes. die waren schon millionäre, bevor sie anfingen.«

und außerdem wurde ihnen williamsburg zu häßlich und passte so gar nicht zu den wunderschönen popsongs der stars. »wir verspürten keine verbindung zu dem lauten art rock, der dort gerade passierte«, sagt campbell. »denn wir hörten die pet shop boys.« über eine freundschaft zu den dears landeten sie schließlich in montreal.

beim konzert an diesem abend wird campbell hamburg als seine heimat auf tour bezeichnen. »du kennst hier alles. die straßen, dein bok. es ist wie zuhause, nur dass du kein wort versteht, was die menschen sagen.« nach einer kurzen pause fuhr er fort: »eigentlich ist es also genau wie zuhause.« als engländer im francophonen montréal.

du sagtest einmal: „wir sind eine love song-band.“ auf dem neuen album habt ihr nun zwei politische songs. wie passen diese beiden welten zusammen?

torquil: alle popbands sind lovesong-bands. die meisten lieder in dieser welt werden über liebe oder den mangel an liebe geschrieben. für mich bleibt das hauptproblem in der welt der politik weiterhin die liebe. man kann diese beiden dinge nicht trennen. die persönliche und die politische welt werden von den gleichen regeln bestimmt. menschen leiden aus den gleichen gründen. denn wir behandeln uns gegenseitig nicht richtig. ich denke, dass das album „set yourself on fire“ die verbindung von dem, was du zu deinem nächsten tust und dem, was die menschen in der welt sich gegenseitig antun, behandelt. es gibt diese starke verbindung.

man kann nicht über gesellschaftliche veränderungen, soziale revolution oder soziale gerechtigkeit sprechen, weil jede tiefgreifende veränderung, die einen wert hat, darauf basieren wird, dass wir gut zueinander sein müssen und einander vergeben. ob das nun dein liebhaber oder ob es nationen sind, die themen bleiben die selben.

krieg ist also nur begründet im mangel an liebe.

torquil: es ist ein vakuum. es ist eine leere. es ist in sich keine sache. es ist der mangel an etwas. künstler wie curtis mayfield oder marvin gaye, viele soul musiker, schrieben liebeslieder, aber sie schrieben gleichzeitig über die gesellschaft. sie waren religiöse menschen. ich bin nicht religös, aber ich glaube an die liebe. es ist die höhere macht.


in einer spirituellen art und weise?

torquil: absolut. liebe ist unser geist. es ist die sache, die wir alle schlussendlich wollen. ihre präsenz oder ihr fortbleiben kontrolliert unser leben. je mehr liebe du hast, umso leichter wird das leben. und umgekehrt. für mich gibt es keinen unterschied. sie sind das gleiche. man schreibt liebeslieder, egal, was man tut. wenn man ein menschliches wesen ist und kunst schafft, wird man irgendwann zwangläufig über liebe sprechen. familienliebe, liebe in der freundschaft, romantische liebe, sexuelle liebe. all diese formen.


positiv wie negativ. sie kommt und sie geht.

torquil: und wie sie alles kontrolliert, was wir tun. ich kann nur annehmen, dass osama bin laden und george bush das tun, was sie tun, weil sie keine liebe in ihrem leben haben. ich kann keinen anderen grund sehen. höchstens, dass sie einfach böse sind. aber es muss einen grund geben.

bösartigkeit kann von frustrationen herrühren.

torquil: ich habe george bushs mutter gesehen und glaube nicht, dass sie eine sehr liebende person ist. das ist wahrscheinlich, wo alles begann beim armen, alten george. und ich bin sicher, dass osama bin ladens vater auch keine spaßkanone war. seltsam, dass sie befreundet sind.

wie würdest du deine politische gesinning bezeichnen?

torquil: auf jeden fall: anti-politisch. ich habe wirklich begonnen, politik zu hassen und verachten. es ist ein nutzloses system. und ich glaube nicht, dass durch es jemals eine wirkliche veränderung kommen wird. echte veränderung passiert durch menschen, die auf die straße gehen und anders handeln. ich verabscheue politiker. ich verabscheue kommunisten. ich verabscheue kapitalisten. ich verabscheue faschisten. so ziemlich jeden, der denkt, dass er die menschen so manipulieren kann, dass sie ihm macht geben. ich bin also anti-politisch. aber ich glaube daran, dass der reichtum umverteilt werden sollte. dass die reichen aus ihren häusern fliegen und arme menschen dort leben. ich denke, ich bin wohl ein radikaler sozialist. pazifistischer, radikaler sozialist.

was bedeutet in diesem zusammenhang der albumtitel "set yourself on fire"?

torquil: ich fand es irgendwie lustig. aufregend. ich denke, es fasst zusammen, was wir in dieser band machen. wenn man uns nicht mag, dann weil wir so vollkommen offen mit unseren gefühlen und unserer menschlichkeit sind. wir denken nicht, dass wir cool sind. und wir wollen das auch nicht sein. wir wollen verstanden werden. wir wollen mit den menschen verbunden sein. wir wollen sie spüren und sie sollen uns spüren. wenn es eine philosophie bei uns gibt, dann dass man sein eigenes ego zerstört. man muss aufgeben, womit man sich selbst schützt, wenn man mächtig sein will. wenn man eine waffe einsetzen will. das gefährlichste und mächtigste, was man in der welt tun kann, ist sich selbst einzugestehen, wer man ist und um vergebung zu bitten. und die menschen einfach zu lieben. gleich, wer sie sind. das symbol, sich selbst anzuzünden, sich selbst zu zerstören, um wiedergeboren zu werden. daran glauben wir. und wenn man sich verliebt, ist das auch, als ob man sich anzündet. man gibt auf, wer man ist und man wird ein neuer mensch, der für das glück einer anderen person verantwortlich ist. ein treuer, guter, gütiger liebhaber. man muss dafür seine egoistische seite sterben lassen. man kann nicht davon entkommen, kleine teile von sich aufzugeben. und ich denke, dass all diese bands, broken social scene, metric, the dears, auch wenn sie mir niemals zustimmen würden, genau dies verkörpern. wenn kevin von broken social scene singt „it‘s all gonna break“, dann meint er dies. alles muss einmal enden, in ruinen liegen, aber wir machen es trotzdem. weil es nichts anders gibt. und verlieren, das ist das, was man will. denn wer will der sieger sein? sie sind so uninteressant. sie kontrollieren das spiel. es liegt viel stärke darin, schwach zu sein.

gibt es für dich ein ultimatives liebeslied?

torquil: „ tracks of my tears“ von smokey robinson ist auf jedenfall eines der größten liebeslieder, die jemals geschrieben wurden. aber es gibt so viele. love will tear us apart. das gesamte album „here, my dear“ von marvin gaye. jedes wort davon. so viel soul-musik. meine werke sind überhaupt nicht so, aber als zuhörer und als mensch ziehe ich daraus sehr viel inspiration. viel begeisterung. aus der reinheit der gefühle, der einfachheit der botschaften und die komplexität der musik. die kombination dieser dinge inspirieren mich sehr und sagen mir etwas über liebe. romantische liebe. sie ist sehr gewöhnlich. es geht darum, jemanden ficken zu wollen. aber sie ist gleichzeitig auch sehr heilig. du fühlst diese spirituelle verbindung. auch wenn du sie nur ficken willst. soul musiker wie curis mayfield, marvin gaye und donny hathaway machen diesen widerspruch greifbar. man will fast gewaltätig gegenüber einer person werden, aber gleichzeitig hebt man sie in den himmel. das ist sehr wahr. in meiner eigenen weise versuche ich über diese dichotomie zu schreiben.

du schreibst sehr detaillierte texte. woher kommen die inspirationen? wirkliche erlebnisse? oder denkst du nur, dass mehr details die texte authentischer machen?

torquil: das ist wahr. das detail ist für mich eine art trick. so bekommt der text eine greifbarkeit. und eine alltäglichkeit. denn an was erinnert man sich? es sind nicht immer die wichtigsten dinge. oft kleinigkeiten. wie etwa bei „dry your eyes“ von the streets. das ist ein großartiges beispiel, wie man eine reihe scheinbar bedeutungsloser gesten nimmt und feststellt, dass sie alles sagen, über das, was in diesem moment passiert. wenn man texte schreibt, hat man nur einen geringen zeitraum, um etwas auszudrücken. deshalb muss man dinge auswählen, die sofort etwas beim zuhörer auslösen.

wenn man zu vage bleibt, wird der text schnell zu einem klischee. immer wieder das gleiche. für mich ist es wichtig, große sentimentale ideen neben recht lustige, nicht so schwerwiegende dinge zu stellen. das leben ist nicht so ernst, auch wenn man schreckliche dinge durchlebt. auch dann entdeckt man noch alberne momente.

wie schreibt ihr songs?

torquil: es beginnt mit evan und chris. mit einem riff. den spielen sie stundenlang. und dann schreiben amy oder ich texte dazu. ich schreibe ziemlich schnell, manchmal nur 20 minuten. amy nimmt sich viel mehr zeit. sie beansprucht eine idee und arbeitet daran dann zwei, drei wochen daran. ich bin dagegen ziemlich faul. ich habe nicht so viel respekt für popsongs. die gibt es im dutzend. für mich funktioniert es nicht anders. würde ich sie respektieren, dann hätte ich angst, dass sie verschwinden würden. ich muss sie als flach ansehen. wie ein kreuzworträtsel. wäre es anders, würde ich in einem schwarzen loch verschwinden. ich habe schon meine schauspielerei zu sehr analysiert. ich möchte nicht, dass es mit meiner musik passiert.

wie sehr beeinflusst deine schauspiel-vergangenheit deine musik? auch auf der bühne?

torquil: viel. ich bin ein schauspieler, also beeinflusst es meine persönlichkeit und wie ich auftrete. ich bin ein geschichtenerzähler, weil ich als schauspieler dinge auf basis von charakteren verstehe. was passiert mit einer figur? ich finde es schwer, abstrakt zu schreiben. ich bin besser, wenn ich spezifisch bin und narrative stories erzähle. ich komme aus einer schauspieler-familie. bei anderen kunstformen hat man den vorteil obskur zu bleiben. aber als schauspieler ist deine einzige mission, klar zu machen, was du versuchst zu sagen und was die geschichte ist. du bist kein kreativer künstler, du bist ein interpretativer künstler. es macht keinen sinn, es noch obskurer zu machen als es ohnehin schon ist. deine aufgabe ist es, etwas undurchsichtiges dem publikum zu vermitteln und dem ganzen struktur zu geben. so gehe ich an meine kunst heran. weil ich es so kann, nicht unbedingt, weil es der richtige weg ist. denn ich finde obskurität schön und ich wünsche, dass ich so sein könnte.

auf der theaterbühne hast du zum einen klassiker wie shakespeare gemacht. zum anderen modernes drama wie mark ravenhills "shopping and fucking". das ist ziemlich radikal. hast du das in die musik übernommen?

torquil: "shopping and fucking" war für mich eine sehr große sache. denn es hat mich gelehrt, wieviel schönheit in absoluter dunkelheit existieren kann. ich glaube, dass dieses stück sehr viel mitgefühl und moral enthält. es geht darum, der person, die man liebt, treu zu sein. und dass liebe alles übernimmt. egal, wie verdammt dunkel und freudlos die welt auch sein mag. es gibt immer die möglichkeit, dass man sich gegenseitig liebt. ganz gleich wie ekelhaft und abstoßend man ist. wenn dir jemand vergeben kann, kann er dich auch lieben. das ist zu einem großen thema in unserer musik geworden. es hat mir geholfen, das zu kristallisieren. es ist auch ein sehr englischer standpunkt. und ich bin ja engländer. ich habe immer einen sehr englischen standpunkt angenommen. dieses stück hat mir klargemacht, dass man es etwas anrüchiges, schockierendes und sogar hässliches machen kann, das einen kern der schönheit und vergebung hat. bei uns ist das so. die musik ist sehr lieb und leicht zu hören. und die texte sind sehr dunkel und oft pervertiert und verdreht.

ihr werdet immer mit den smiths in verbindung gebracht. wo kommt deine begeisterung für sie her?

torquil: als ich zwölf war, habe ich in einem tennis club gearbeitet. da war ein typ der manager, der dort nur unter der bedingung arbeitete, dass er die musik auswählen durfte, die im club gespielt wurde. er liebte musik und hat mich mit fast aller musik, die mir wichtig wurde, in verbindung gebracht. wie billy bragg, the smiths, elvis costello, the clash, new order und echo & the bunnymen. als ich zum ersten mal die smiths hörte, habe ich sie sogar noch gehasst. alle lieder klangen gleich. ich konnte nicht verstehen, warum morrissey immer nur in einer tonlage sang. und warum er stets traurig war. sie waren eine extrem gehypte band. deshalb hatte ich ein natürliches misstrauen. und langsam wurden sie zur wichtigsten sache in der welt für mich. und das ist so geblieben. sie haben ein niveau erreicht, an das niemand mehr rankam. davor oder seitdem. und nur die beatles sind eine ähnliche inspiration. es schien so leicht, fast mühelos. es floss einfach aus ihnen heraus. jede melodie, jeder text, jede gitarrenlinie. alles war voller leidenschaft. ich höre sie immer noch und vergleiche sie mit aktuellen bands. wenn die smiths heute rauskommen würden, würde sie die verdammte welt übernehmen. sie haben die musik verändert. es ist so viel besser als alles, was danach kam. fast traurig.

welches ist deine liebste smiths-platte?

torquil: ich denke strangeways here we come. aber auch hatful of hollow ist großartig. sie haben aber so viel rausgebracht, dass ihre ganze karriere wie eine große platte für mich ist. heute würde ihnen keiner mehr erlauben, überhaupt so viele platten aufzunehmen.


ist montreal eine inspirierende stadt?

torquil: sehr. du bist ein fremder in deiner heimatstadt. als englischsprechender mensch bist du nicht mit den geschehnissen verbunden. das hat auch sein gutes, denn du kannst dich von allem isolieren und deine eigene welt erfinden. aber man kann auch die nähe zur francophonen welt suchen. es ist eine kosmopolitische weltstadt. die einwohner lieben kunst und fördern sie. es ist auch sehr günstig und man muss nicht viel arbeiten, um zu überleben. sie sind den franzosen nicht unähnlich, weil sie die arbeit hassen. also sitzen alle nur rum, leben das leben und betrinken sich. und es ist so verdammt kalt, dass man sechs monate lang nicht raus kann. da schafft man viel arbeit. man kann sich gut konzentrieren. es ist ein romantischer, trauriger ort. die stadt musste ihre gesamte geschichte mit dieser zwiegespaltenheit kämpfen. sie ist in kanada, aber kein echter teil des landes. diese komplizierte natur ist inspirierend. montreal ist hamburg nicht unähnlich. für mich ist hamburg die entspannteste und ungermanischste von allen deutschen städten. sehr laissez-faire. ein wenig anrüchig. montreal ist auch etwas gesetzloser. was mir gefällt.

(interview: steven joergensen / 13.04.06 / uebel & gefährlich hamburg)

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