home                                     club        musik        konzerte
plattenkritiken | popnews | interviews | popclassics | clubplaylists | plattenlabels

interview - divine comedy

mein bereits drittes interview mit the divine comedy. insofern wusste ich schon recht genau, was mich erwarten würde: ein unglaublich sympathischer und humorvoller mensch. neil hannon â the divine comedy in person. was diesmal anders war, war die doch deutlich zu erkennende erschöpfung, nicht einfach müdigkeit, sondern die erschöpfung, die einem aus dem gesicht spricht, wenn man über einen längeren zeitraum strapazen ausgesetzt ist. vermutlich hinterließ hier die tour ihre spuren. umso erfreulicher, dass hannon dennoch sehr bereitwillig und freundlich meine fragen beantwortete.

erzähl mir etwas über das neue album. was passierte seit "victory for the comic muse"?

was passierte nicht...!?! (lacht)
ich liste mal auf, was ich so gemacht habe. zuerst wollte ich ein musical schreiben, nach dem ich gefragt wurde. das hat ein jahr gedauert. zu der zeit hab ich auch texte für charlotte gainsbourg verfasst. dann war ich auf tour und hab songs für dieses album geschrieben. und natürlich arbeitete ich mit meinem freund thomas an songs für unser cricket album: duckworth lewis method. es waren ein paar sehr produktive jahre.

aber was passierte mit the divine comedy? die vielen projekte hatten sicher einfluss auf the divine comedy...

ja, sicherlich! vor allem, weil ich durch die musical arbeit nun alles auf dem klavier geschrieben habe. ich wollte mich nicht in arrangements verlieren. wenn ich mit dem arrangieren anfange, wird das ein großer teil des prozesses. und das verlangsamt die arbeit ganz deutlich.
also sagte ich mir, ich schreibe alles am klavier und sehe danach, was passiert.
ich kaufte mir also ein kleines opernklavier. es hat mir so viel spaß gemacht, dass ich gar nicht mehr aufhören wollte. ich glaube, das neue album hat eine menge damit zu tun.
ich saß nur da und hab geschrieben, geschrieben und geschrieben. früher war das arrangieren teil des prozesses â arrangieren während ich schrieb.
außerdem hatte ich keinen fernseher, was vielleicht auch ne menge damit zu tun hatte.

"bang goes the knighthood" klingt sehr direkt. du hast also die songs erst am klavier geschrieben und dann mit einer band geprobt oder wie lief das ab?

ich habe gar nicht geprobt mit niemandem. als ich ins studio gegangen bin, wusste ich nicht, was herauskommen würde. ich hatte eine grobe vorstellung, habe aber wenig demos gemacht, was sehr ungewöhnlich ist für mich. ich ging ins studio, rief meinen üblichen bassisten und schlagzeuger. wir haben nicht viel direkt zusammen gemacht. es war auch ein sehr kleines studio. das mischpult -es gab eigentlich keins außer dem computer- war mit uns im raum. es war eine art homerecording â nur mit einer menge instrumente, die von dem wänden hingen. es hat viel spaß gemacht. es sollte alles sehr spontan sein. ich hatte sogar einen engineer, der eigentlich gar kein engineer war. er ist eher ein lokaler mischer.
ein weiterer großer unterschied war, dass das das erste war, das ich jemals in dublin aufgenommen habe. obwohl ich vor acht jahren dorthin gezogen bin, habe ich bisher weiterhin in london aufgenommen, wo ich alle kannte. ich fühlte mich sicher (lacht). nach acht jahren fühlte ich mich nun in dublin sicher und kenne nun ne menge leute...
ich wollte alles ganz reduziert haben, aber zu allem kamen (schmunzelt) ein wenig extras. ich konnte es einfach nicht minimal lassen...

aber die platte kommt doch sehr reduziert rüber. sie erinnert beinah an vaudeville musik...

einige songs, ja. es war diesmal etwas relaxter. ich erlaubte mir diesmal, etwas mehr spaß zu haben (lacht) und habe versucht, nicht allzu viel darüber nachzudenken.
noch etwas, was passierte, war, dass ich schon eine menge von meinem album fertig hatte, als wir bemerkten, wir mussten das duckworth lewis album aufnehmen. das dauerte einen monat oder so. als wir damit fertig waren, dachten wir: "das ist echt gut, wir sollten es promoten." plötzlich war da keine zeit mehr für mein album, also wurde es erstmal hinten angestellt. glücklicherweise habe ich ja kein label im nacken, das nicht "ich" bin, sodass keine großen pläne oder releasedates betroffen waren. es gab einfach keine pläne.
als die "cricketsaison" zu ende war, kam ich im herbst letzten jahres wieder zu meinem album. es war gut, zeit anders verbracht zu haben. so siehst du das ganze von einem anderen blickwinkel. ich überarbeitete dann einiges, was gut war.

also ist es kein zufall, dass "bang goes the knighthood" ein wenig nach einem follow up zu dem duckworth lewis method album klingt?

nein, das stimmt so nicht, weil 2/3 meines albums bereits fertig waren, als wir mit duckworth lewis method begannen. es wurde aber in dem geist der besonderen freude fertig gestellt. (lacht)
es ist ganz lustig darüber nachzudenken, wie das alles gelaufen ist. man denkt sich immer, die songs sind fertig, ich nehm sie in nem monat auf und dann werden sie veröffentlicht. am ende warÂs ein jahr später als erwartet â es ist wie von berlin nach hamburg zu kommen...

das neue album klingt sehr traditionell und beinah "old-fashioned". ist das auch ein statement?

also ich habe mich nicht mit einer philosophischen theorie hingesetzt...es ist aber keine so schlechte frage. oftmals hatte ich zu "große ideen" wie eine platte zu sein hatte. aber vielleicht nun, wo ich älter werde, sehe ich meinen platz. ich brauche heute nicht mehr...(überlegt) wahnsinnig viel aufmerksamkeit und mit geschenken überhäuft zu werden. (lacht) mir ist es etwas mehr egal, was die leute denken.
ich mag es, musik zu machen und ich mach einfach musik, die ich mag, und denke nicht mehr so darüber nach, ob ich damit die musikgeschichte verändern werde. (lacht)

das ist ein luxus, den du dir nach all den jahren leisten kannst...

ja, ich habe das gefühl, ich bin an einem punkt, wo ich mir weniger gedanken machen muss. da gibt es eine menge leute, die mir zuhören möchten. und sie scheinen nicht in absehbarer zeit zu verschwinden. also kann ich etwas entspannter sein, aber mich nicht auf meinen lorbeeren ausruhen oder so. ich genieß es nun und muss nicht die ganze zeit rennen, um stehen zu bleiben â gegen die strömung.

warum duckworth lewis method?

es ist wie der mount everest: weil's da ist! (lacht) es gibt keinen grund.

warum nicht der name divine comedy für das projekt?

nein, das ist es absolut nicht. jedesmal, wenn journalisten versuchen zu sagen, du bist das und thomas ist das, liegen sie völlig falsch. (lacht) es ist mehr 50/50, als du dir vorstellst. thomas kam so oft mit ideen und ich hab nur was hinzugefügt. da sind nur ganz wenige songs, die wir unabhängig vom anderen geschrieben haben.
wir haben es gemacht, weil wir -als wir mal betrunken waren- uns gedacht haben, es müsste doch lustig sein, ein album über cricket zu machen. niemand würde sowas erwarten.
es gab keinen grund dafür außer eine coole platte zu machen und vielleicht ein paar davon zu verkaufen und vielleicht dadurch ein paar coole cricket stars zu treffen und spiele zu sehen â was alles passierte (lacht).
es kam tatsächlich raus, als das größte spiel im cricket -england gegen australien- in england letztes jahr anstand. es war ein zufall, aber das timing war super. plötzlich wurden wir auf sky news interviewt und waren im wichtigsten cricket programm âtest match specialâ.
es ist hier sicher schwer vorzustellen, weil cricket hier nicht so bekannt ist, aber in den ländern, in denen es gespielt wird, ist es eine der drei top sportarten überhaupt!

wird also the divine comedy unwichtiger für dich?

es ist ein banner über meinem kopf. es ist keine instanz als solches, sondern eine sache, die ich mache. (lacht) ich mag den namen. und wenn ich unter dem namen "the divine comedy" schreibe, schreibe ich auf eine besondere art (lacht). seltsame sache. ich habe mich von dem gedanken verabschiedet, eine große popband oder indieband zu sein.

aber selbst wenn du musik wie etwa zu it crowd machst klingt es immer irgendwie wie divine comedy...

besser als nach gary numan... (lacht)

du hast ja nun dein eigenes label und auch die rechte an deinen alten platten. wird es da rereleases geben?

das erzähl ich nun schon seit 5 jahren. leider ist es sehr kompliziert: zeitaufwendig und teuer. und nichts davon hab ich (lacht). vor allem zeit...

du sagtest ja, bei den alten alben gab es eine menge demos. das wär doch interessant...

wenn ich wüsste, wo die sind... ich seh, was ich tun kann. nächstes jahr (2011) hab ich noch nicht so viel geplant wie sonst. keine eile wegen eines neuen albums...also vielleicht kriegen wirs nächstes jahr hin.

was sagt uns das artwork des neuen albums. ist schon etwas seltsam zusammen mit dem titel... ich hatte es in der hand und dachte...

what the hell is going on! (lacht) das ist es, was ich wollte. (überlegt) dazu muss man wohl erst den titel erklären: als ich jung war, liefen immer diese britischen possen im fernsehen. man schien immer das bild des bänkers, beamten oder politikers als bulligen gentleman mit schirm und aktentasche zu sehen. sie endeten immer irgendwie mit dem schwedischen au pair mit heruntergelassenen hosen und irgendwer sagte dann: "bang goes the knighthood" (lacht)
das blieb bei mir hängen.
zusammen mit der finanzkrise...das hat die autorität dieser leute untergraben. ich hatte den eindruck, sie bräuchten mehr verhöhnung...

das macht das artwork sehr viel verständlicher...

ja, als ich versuchte, den titel zu visualisieren, war das der einzige weg. lustig, nicht pornographisch (lacht) und, em, interessant: ich in einer badewanne, mit melone, einem hund und einem glas champagner. eigentlich wollte ich einen afghanen oder einen pudel, hatte aber unglücklicherweise nicht die zeit, sie zu besorgen, also musste ich nehmen, was ich hatte; meinen hund, einen labrador.

was hälst du eigentlich von der aktuellen musikszene?

nicht viel. (lacht) ich höre ne menge musik, aber nichts aus dieser zeit. ich mag mgmt, arcade fire. und die villagers sind brilliant. die kommen aus meinem kaff, dublin. sie sind für den mercury preis nominiert. (seufzt) aber tatsächlich bin ich ein wenig deprimiert. mein größtes problem ist das komplette fehlen von humor! alles wirkt so verdammt ernst. (äfft eine stimme nach:) "oh das ist alles so wichtig!" klar kann es wichtig sein, aber es kann auch ein wenig selbst-bewusstsein haben. ich schaue immer mit einer rosaroten brille zurück auf die 90er, aber da gab es zumindest ein wenig spaß. und popmusik sollte spaß sein! (lacht) ich wünschte, ich könnte noch ein paar namen mehr aufzählen, die ich mag. ich hör mich schon an wie ein alter sack...
letztens hab ich eine band im fernsehen gesehen: everything everything. ich mochte den ersten song. und dann spielten sie noch einen. das hat alles kaputt gemacht. lustig war, wie der moderator, der sehr jung war, meinte: "was ich an dieser band mag ist, dass sie wie nichts sind, was ich je gehört habe." und ich dachte: "ok, du hast also noch nie xtc oder die talking heads gehört?" (lacht) das ist ok, solange du alles interessant vermischst und eine art absicht dahinter steht. ich denke oft: "gut, das ist alles ganz schön, aber was wollt ihr mir damit sagen?" es ist egal, ob es mich interessiert, was sie mir sagen wollen, solange ich das gefühl habe, sie wollen mir irgendetwas sagen.

du hast mit "at the indie dicso" eine art hymne für die indie kids geschrieben...oder gibt es sowas überhaupt noch?

ich weiß nicht, ob es sowas noch gibt. vielleicht ist es fantasie. der song zumindest war es bis zu einem gewissen grad. es gab keine indie discos, wo ich aufgewachsen bin... es geht um den teenage neil, der ein riesen indiefan war. tatsächlich war ich aber zu schüchtern, um in eine indie disco zu gehen... ich kannte das nur von auftritten, wenn sie nachher eine disko aus dem venue machten. ich weiß also nur grob, worum es geht. aber autoren müssen ja auch nicht alles in ihren büchern erlebt haben...also warum sollte es bei einem song so sein?

also gehst du auch nicht mehr aus?

nun, ich gehe mit meiner freundin essen oder ins kino. wir haben einen netten club, wo wir gerne hingehen. aber es ist nicht so ein "bumbumbum"-club, sondern ein netter lederstuhl club. (lacht) wir sind in dem alter, in dem man eher freunde zu hause besucht.

wann ziehst du nach schweden?

(lacht) das ist lustig, denn ich gehe morgen nach schweden!
also in dem song gehts eher -soweit ich mich erinnern kann, es ist lang her- um einen ort, wo das gras grün ist und alles fantastisch aussieht. aber letztlich ist es dann dort doch wie überall sonst â nur mit besserem gesundheitswesen (lacht).


an dieser stelle endet das interview, weil hannon seine stimme schonen muss.

(interview: volker kindt / 19.10.10 / stage club hamburg)

weitere interviews